Kaspar Hauser - ein vergessener Mythos?
51.Veranstaltung der Humboldt-Gesellschaft am
14.01.98 von Steffen Döring
Grabinschrift Kaspar Hausers auf dem Stadtfriedhof Ansbach:
HIC JACET
CASPARUS HAUSER
AENIGMA
SUI TEMPORIS
IGNOTA NATIVITAS
OCCULTA MORS
MDCCCXXXIII
Hier ruht Kaspar Hauser
das Rätsel seiner Zeit
unbekannt seine Herkunft
geheimnisvoll sein Tod
1833
Herkunftstheorien über Kaspar Hauser
Im Jahr 1828 tauchte in Nürnberg ein Findelkind auf.
Schon seit dem ersten Erscheinen Hausers häufen sich die
Gerüchte über seine Herkunft. Verschiedene Personen
und Personengruppen in seinem Leben stehen für
verschiedene Theorien. Eine der ältesten ist die
Erbprinzentheorie. Demnach soll Kaspar der badische
Thronfolger sein. Nach der Geburt soll er gegen ein
sterbendes Kind ausgetauscht und versteckt worden sein.
Ein Verfechter dieser Theorie ist Anselm von
Feuerbach.
Auf Reisen zu verschiedenen deutschen Adelshäusern im
Jahre 1833 versucht er, Indizien dafür zu finden. Es
ist zu vermuten, daß er diese Einmischung in das
Herrschaftsgefüge mit dem Tod bezahlen mußte. Stefanie
Beauharnais (1789-1860), die Adoptivtochter Napoleons
war mit dem Großherzog Karl von Baden (einem Zähringer)
verheiratet. Er war der erste und einzige Junge von 6
Kindern des Adelsgeschlechts und war, so wie sein Sohn
später, zum Thronfolger bestimmt. Nach der Tochter Luise
kam am 29.9.1812 endlich ein Junge zur Welt. Nach einer
Nottaufe ohne Namensgebung starb dieser bereits 17 Tage
später. Ein weiterer Sohn, Alexander, lebte nur ein Jahr,
und wurde vermutlich umgebracht.
Die Gründe für den Tausch des ersten Jungen wären in der
Mächtekonstellation der deutschen Fürstenhäuser der 19.
Jahrhunderts zu suchen. Die Kleinstaaterei brachte
Zwistigkeiten zwischen den Großherzogtümern mit sich.
So sollte zum Beispiel die zu Baden gehörende Pfalz nach
Beschluß des Wiener Kongresses an Bayern zurückgegeben
werden, wenn die Zähringer keinen männlichen Nachfahren
mehr haben. Das könnte der Grund gewesen sein, warum der
erste Sohn, angenommen es wäre Kaspar Hauser gewesen,
unter Einfluß der Bayern ausgetauscht und nach vier
Jahren eingekerkert worden ist. Ein anderes Indiz ist
die Herrschsucht der angeheirateten Gräfin Hochberg.
Sie war die zweite Frau des 1811 verstorbenen badischen
Großherzogs Carl Friedrich und 40 Jahre jünger als dieser.
Aus der Ehe gingen 4 Kinder hervor, darunter drei Jungen.
Als kein Thronfolger mehr gefunden wurde, konnte einer
dieser Söhne, Leopold, die Regentschaft in Baden 1830
übernehmen. Eigentlich hätte aber der verstorbene
Stiefurenkel -nach der Erbprinzentheorie also Kaspar
Hauser- Großherzog werden müssen.
Es liegt demnach nahe, daß Gräfin Hochberg bei der
Beseitigung dieses "Hindernisses" mitgeholfen hat. In
seinem geheimen Memoire schreibt Feuerbach: "Kaspar
Hauser ist das Kind fürstlicher Eltern, das hinweggeschafft
worden ist, um anderen, denen er im Wege stand, die
Sukzession zu eröffnen".
Es gibt aber auch andere Ansichten über die Herkunft des
Findlings. Von einigen Personengruppen, den sogenannten
Hauser-Gegnern wird er nach wie vor für einen Schwindler
gehalten. Er habe nur Aufsehen erregen wollen und als es
still um ihn wurde, soll er Selbstmord begangen haben.
Diese Theorie erscheint aber höchst zweifelhaft, da das
anormale Verhalten nach dem Auftauchen in Nürnberg
zweifellos auf
eine lange, unverschuldete Gefangenschaft schließen läßt.
Dem entgegnen die Gegner der Hauser-Legende: Die bei der
Obduktion festgestellte Überentwicklung des Kleinhirns und
die Unterentwicklung der linken Hemisphäre des Großhirns
ließen auf eine erbliche Anfallskrankheit schließen, die
sein Verhalten begründen könne. Die Erbprinzentheorie
wird von den Hauser-Gegnern wie folgt widerlegt: In der
badischen Linie sei nie
eine solche Krankheit aufgetaucht. Im machtpolitischen
Spiel zwischen den rivalisierenden Ländern Bayern und
Baden soll Feuerbach vom bayrischen König Ludwig I. auf
den Findling angesetzt worden sein. Kaspar Hauser sollte
also dem Hause Baden "in die Schuhe geschoben werden".
Der Tiroler Akzent, den der Jüngling gesprochen haben
soll, könnte seine Herkunft genauer bestimmen. Er soll
demzufolge ein Tiroler Bauernsohn gewesen sein.
Hauser soll gegen Pocken geimpft worden sein und muß
ansteckende
Kinderkrankheiten wie Keuchhusten und Masern, die in
Nürnberg epidemieartig umhergingen, mitgemacht haben, da
er sich nicht ansteckte. Unvorstellbar für einen Menschen,
der sich 12 oder 13 Jahre in einem Kerker befand, wo er
keine Abwehrkräfte entwickeln konnte.
Kaspar Hauser fiel im Dezember 1833 im Hofgarten von
Ansbach einem Mordanschlag zum Opfer. Feuerbach hat ihn
in einer seiner Schriften treffend "Kind Europas"
genannt.
Interessant ist, daß Kaspar nach seinem Tode von einem
Großteil der Bevölkerung für den badischen Erbprinzen
gehalten wurde. Das liegt auch in der Haltung der
Bevölkerung gegenüber den ausbeutenden Großherzogtümern
begründet. Als Ende des 19. Jahrhunderts der Imperialismus
verbunden mir einem nie gekannten Nationalstolz beginnt,
verwirft man die Idee. Nach Abschaffung des Adels konnte
sich diese Theorie jedoch wieder entfalten. Mit einem
Hauch Sensationalismus hatte man schnell Begeisterung in
Deutschland für die Geschichte mit dem vertauschten Kind
geschaffen. Für andere Theorien, wie die Abstammung von
einem Bamberger Domherren oder die Herkunft von einem
ungarischen Adelsgeschlecht, fanden sich kaum Beweise und
nur wenige Verfechter.
Neue Erkenntnisse durch die DNA - Analyse
Im November 1996 (163 Jahre nach dem Tod Kaspar Hausers)
griff das Magazin "DER SPIEGEL" das Thema wieder auf.
Forscher sollten die DNA von der erhaltenen,
blutbefleckten Unterhose Hausers mit der DNA zweier
weiblicher Nachfahren des badischen Großherzogs Karl
vergleichen. Das Interesse galt besonders der
mitochondrialen DNA (mt-DNA), welche nur durch
weibliche
Vorfahren vererbt wird und (falls sich innerhalb der
letzten Generationen keine Mutation dieses Erbguts
ereignet hat) von hoher Beweiskraft wäre. Mit Hilfe
des sogenannten "genetischen Fingerabdrucks" konnten
schon die angebliche russische Zarentochter "Anastasia"
als Schwindlerin entlarvt und in Amerika Jesse James
identifiziert werden. Da das Adelsgeschlecht wegen der
öffentlichen Anfeindungen im Fall Hauser keinerlei
Auskünfte und schon gar kein Blut zur Verfügung stellen
wollte, mußte "DER SPIEGEL" mit einer sechsstelligen Summe
locken.
Im Stadtmuseum Ansbach findet sich -neben anderen
Gegenständen aus Hausers Besitz- auch die Kleidung,
die er am Tag des Attentats trug. Für die Untersuchung
wurde zunächst ein 10cm² großes, blutbeflecktes Stück
aus der Kleidung geschnitten. Um die
Unabhängigkeit und Richtigkeit der Ergebnisse zu wahren,
wurde es in zwei Teile geteilt und an zwei Labore gegeben
(München und Birmingham). Die
Proben wurden nun mit einer Haarlocke Hausers verglichen.
Diese Untersuchung zeigte, daß das Blut und die Haarlocke
von ein und der selben Person stammen.
Nun analysierte und verglich man das Blut beider
Nachfahren der badischen Adelsfamilie miteinander und
stellte fest, daß diese eine identische mt-DNA-Sequenz und
damit auch gemeinsame Vorfahren hatten.
Von Kaspar Hausers Blut wurde ebenfalls eine mt-DNA-Sequenz
erstellt. Seine
Sequenz unterscheidet sich allerdings an neun Positionen
von der der beiden Vergleichspersonen. Kaspar Hauser ist
damit definitiv nicht über die weibliche Linie mit dem Haus
Baden verwandt. (Nachtrag: Im Jahr 2002 wurde in Offenbach
eine weitere DNA-Analyse erstellt, die Zweifel am 96er
Ergebnis zuläßt.)
Dieses Ergebnis muß für die Vertreter der
Erbprinzentheorie, die damit öffentlich widerlegt worden
ist, ein Schock sein. Viele Bücher und Dokumente
entsprechen nicht mehr dem aktuellen Kenntnisstand. Aber
was ist die Wahrheit? Viele Fragen werden nun geklärt
werden müssen: Warum hat das Haus Baden solche Angst vor
dem Findling gehabt und warum konnte die Geschichte eines
Findlings das Gleichgewicht der europäischen Adelshäuser
so leicht stören? Warum wurde ein Spion angesetzt und
warum wurde der Jüngling gefangen gehalten? Warum sind
drei Mordanschläge verübt worden? Es bleibt also immer
noch unklar, wer der Findling war und von wem er ermordet
wurde.
Es hängt vermutlich mit den Schwierigkeiten einer
erneuten "Beweisaufnahme" zusammen, daß es um den
Kaspar-Hauser-Mythos ruhiger geworden ist.
Steffen Döring
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