URL zu dieser Seite: http://www.humboldtgesellschaft.de/inhalt.php?name=falun


Der Bergmann von Falun
Ein Grubenunglück
mit literarischen Folgen

188. Veranstaltung der Humboldt-Gesellschaft
am 28.04.06 von Barbara Gauger
(Gastvortrag)


Das ehemalige und seit kurzem zum „Welterbe der UNESCO“ zählende schwedische Kupferbergwerk „Falun“ (Provinz Dalarna) lieferte den Rohstoff, der Schweden im 17 Jh. zur europäischen Großmacht formte. Falun bereicherte aber auch die Deutsche Romantik: Ein Grubenunfall wurde zu einem zentralen Motiv der deutschen Literaturgeschichte.

Grundlage für die Thematik des Vortrags ist eine Begebenheit, die sich im 18. Jahrhundert in Falun ereignete, wo die Leiche eines jungen Bergarbeiters gefunden wurde. Als der Tote aus dem Bergwerk an die Luft transportiert wurde, fand sich eine sehr alte Dame ein, die gerührt berichtete, daß sie eben diesen Bergmann - Mathias Israelsson, genannt "Fet Mats" - vor einem halben Jahrhundert habe heiraten wollen und er am Tag vor der Hochzeit nicht von der Bergarbeit heimgekommen sei. Das Thema wurde von der Romantik bis auf den heutigen Tag von ca. 30 deutschsprachigen Schriftstellern und Dichtern wie Johann Peter Hebel, Achim von Arnim, Clemens von Brentano, E.T.A. Hoffmann, Hugo von Hoffmannsthal, Richard Wagner, Georg Trakl und vielen anderen literarisch bearbeitet, zuletzt von dem bedeutenden ostdeutschen Schriftsteller Franz Fühmann (1922-84).

Die Text-Geschichte dieses Motivs beginnt am 20.7.1720 mit einer kurzen Meldung in einer Kopenhagener Zeitschrift:

„Bei der Aufnahme und Reparatur einer Kupfergrube, die fast 40 Jahre lang brach gelegen hatte, hat man bei einer eingefallenen Grube einen Menschen gefunden, dessen Kleidung sich erhalten hatte. Aber Sachen aus Eisen, wie Messer, waren vermodert, der Tote aber gänzlich erhalten, unverändert. Die medizinische Fakultät wollte diese Leiche, aber es meldete sich eine alte Frau, die anführte, daß der Tote mit ihr verlobt gewesen sei. Die medizinische Fakultät könne die Leiche ihr abkaufen und darüber verfügen.“
(Das Bergwerk von Falun S. 36)


Die Kalendergeschichte „Unverhofftes Wiedersehen“ von Johann Peter Hebel aus dem Jahr 1811 dürfte am meisten zur Verbreitung des Stoffes beigetragen haben. Hebel verlegt das Auffinden des Bergmanns ins 19 Jh., indem er es auf berühmt gewordene Weise mit dem Zeitgeschehen verbindet:

„Unterdessen wurde die Stadt Lissabon in Portugal von einem Erdbeben zerstört, und der siebenjährige Krieg ging vorüber, und Kaiser Franz der erste starb, und der JesuitenOrden wurde aufgehoben, und Polen geteilt (...). Der Müller mahlte, und die Schmiede hämmerten, und die Bergleute gruben nach den Metalladern in ihrer unterirdischen Werkstatt.“


E.T.A. Hoffmann erweitert das Motiv des verschütteten Bergmanns in seiner 1819 erschienenen Erzählung „Die Bergwerke von Falun“ um dessen Lebensgeschichte. Sein Bergmann kehrt der Seefahrt den Rücken und wird ein anständiger Bergmann. „Von den Bergleuten geht eine fromme, ‚helle Fröhlichkeit‘ aus.“ Hoffmann gibt der Hauptfigur den Namen Elis Fröbom, den nicht zuletzt Georg Trakl später in seinen Elis-Gedichten verwenden wird.


Die im Buch "Das Bergwerk von Falun" wiedergegebenen Zeichnungen von Barbara Gauger orientieren sich thematisch an Franz Fühmanns „Bergwerk-Projekt“, für das das Thema des Bergwerks zu Falun eine bedeutende literarische Grundlage darstellt. Fühmanns Bergwerksprojekt reflektiert die Schwierigkeiten, einen Dialog zwischen Arbeitern und Schriftstellern herzustellen ("Bitterfelder Weg"), und stellt sich als Verbindung des realen Arbeiteralltags mit phantastischen Komponenten dar, indem die von den Romantikern erfundene mythologische Figur der Kupferkönigin sowohl unter als bei ihm auch über Tage den Alltag der Bergleute bestimmt. Sie tritt aber nicht nur als bestimmende Frauenfigur in Erscheinung, sondern entwirft auch eine Gegenideologie zum DDR-Sozialismus, die als Ideologie ebenso zum Scheitern verurteilt ist, wie die angegriffene Staatsorganisationsform.

In dem Erzählfragment „Die Glöckchen“ wird der bei den Bergarbeitern hospitierende Schriftsteller von einem Goldschmied gewarnt, daß er sich auch im Mansfelder Kupferschiefer vor der Kupferkönigin hüten müsse, also vor der von den Romantikern - insbesondere von E.T.A. Hoffmann - in die Falun-Erzähltradition eingeführten „Königin im Berg“. Fühmann führt aus:

„Diese Bergkönigin ist eine magische Figur, die im Berg regiert und bewirkt, daß der Bergmann sich ihr zuwendet, sich in sie verliebt, alles andere vergißt und nur sein Leben lang sich ihr widmet und sich in ihrem Dienst schließlich verzehrt“.

Barbara Gauger schildert in ihren Zeichnungen „Im Reich der Kupferkönigin“ das Geschehen in der Grube; das Papier ist entweder Kupfer- bzw. Falunrot (Franz Fühmann „Da beginnt der Berg zu glühen – die Kupferkönigin erscheint“) oder wirkt wie aus blaugrauem Stein gehauen, sie erscheint gleichsam wie entstehend aus einer Wandzeichnung, wie sie die Bergleute seit Jahrhunderten in den Gruben hinterlassen. Der Bergmann ist eine individuelle Persönlichkeit, die einem realen Vorbild entprechen könnte, seine Statur erinnert an den „Wolligen“ oder „Leibbepelzten“ in Fühmannns Erzählung „Drei nackte Männer“: „Breite Brust, durchaus ein Bauch, bedeutend sogar, aber fleischig, nicht fett, und gewölbt statt hängend, gedrungene Beine, bedrungener Geschlechtsteil, (...), man sieht soviel Gesundheit in dem Alter nicht oft“. Man erkennt ihn leicht als Gegenstück zu seinem auch hier ausgestellten „Schmucken Frauchen“, das über Tage sein Heim bewahrt.

Die Bilder mit dem Bergmann und der Kupferkönigin erhalten durch den pfiffigen, wenig intellektuellen und zwischen Erstaunen und Amüsiertheit schwankenden Habitus des Bergarbeiters eine ironische Wendung, sie brechen die Tragik des Geschehens der Falun-Geschichte auf humorvolle Weise im Sinne von Franz Fühmann auf: „... und natürlich kommt dann diese Problematik im Reich der Kupferkönigin wieder, dort erscheint ja alles, was auf der Realebene erscheint, nur eben transzendiert, ins Absurde, Groteske, Unflätige, Obszöne, Bizarre usw. gewendet...“ .

In seinen Entwürfen zum „Bergwerk“ erweitert Fühmann den Wirkungskreis der Kupferkönigin. Sie stört in ihrer Doppelexistenz als rothaarige, stadtbekannte Schlampe Regina Kuypers auch über Tage das Wirken der (Berg-)männer. Man könnte den witzigen, aber nicht ausschließlich karikaturhaften Kontrast zwischen dem biederen, untersetzten Bergmann und der zauberhaften Kupferkönigin durchaus als Kommentar zu einem der beherrschenden Themen von Fühmanns Bergwerk verstehen: „Die Dummheit als sexuelle Schranke“. Er gibt in seinem Entwurf zum „Bergwerk“ ein weiteres Thema vor, „...das Bergwerk als historischer Ort, das Fahren durch die Gänge aus der Zeit der Romantik ...“, so finden sich viele Darstellungen des historischen Ortes von Falun, wie „Stora Stöten“, „Die große Pinge zu Falun“, und Ansichten von historischen Schachtanlagen nach Zeichnungen und Bildern von Malern des 19. Jahrhunderts wie Pehr Hilleström d. Ä. oder Johan Fredrik Martin.

Die zahlreichen Fühmann-Zitate auch in den Bildern zeigen die Verehrung der Künstlerin für diesen großen Literaten, dessen Todesjahr sich zum 20sten Mal jährt und der sich in seiner letzten Lebensdekade dem Bergbau als Realität und Fiktion veschrieben hat. Der Betrachter ist durch Barbara Gaugers Zeichnungen, die durch ihre Freiheit und den lockeren Strich, aber auch ihre Geformtheit und Prägnanz, besonders ihre Lebendigkeit bestechen, eingeladen, den Zauber der Kupferkönigin und die vielen historischen und literarischen Anspielungen auf sich wirken zu lassen und dem Reiz des Falunthemas nachzuspüren.


zitiert nach:
Thomas Eicher (Hg.): Das Bergwerk von Falun.
Texte von Johann Peter Hebel, E. T. A. Hoffmann,
Georg Trakl und Franz Fühmann.
Athena Verlag, Oberhausen 2003.
ISBN 3898961508